Am Ende des Ötztals, eingebettet in einer faszinierenden Gletscherwelt, befindet sich die kleine Gemeinde Obergurgl. Im Winter steht der knapp 2.000 Meter hochgelegene Ort im Schatten des prominenten Söldens, im Sommer jedoch blüht Obergurgl zu einer wunderschönen Wanderdestination auf und lässt seinen prominenten Nachbarn durchaus im Schatten stehen.
Nahezu identisch zu meinem Aufenthalt im Stubaital eine Woche zuvor, startete meine Woche in Sölden mit einem Trailrunning-Wettkampf. Der Gletscher Trailrun Obergurgl Hochgurgl war mein zweiter offizieller Berglauf binnen einer Woche und mein zweiter Trailrunning-Wettkampf überhaupt. Erneut brachte er mich an meine Grenzen und erneut sorgte er beim Zieleinlauf für eine wahre Endorphin-Explosion.
Der Gletscher Trailrun war die ideale Möglichkeit, um mir einen ersten Eindruck von der hochgelobten Wanderdestination zu verschaffen. Doof nur, dass der Halbmarathon oberhalb und durch den Gurgler Ferner von Nebel geprägt war und ich den atemberaubenden Anblick der 21 Dreitausender nur erahnen konnte.
Ich musste die Strecke also nochmals in aller Ruhe ablaufen. Diesmal in gemäßigtem Tempo. Der Genuss, ganz ohne Eile und Zeitdruck, stand dabei im Vordergrund.
Wandern in Obergurgl bei traumhafter Kulisse
Die kleine Gemeinde Obergurgl steht im Schatten des riesigen Nachbarn Söldens, der in den Sommermonaten zu einem der beliebtesten Spots für Mountainbiker mutiert. Kaum verwunderlich, dass sich die Wintersport-Hochburg mittlerweile selbst die Bike Republic nennt – und das völlig zurecht.

Obergurgl kann bei der medialen Präsenz kaum mithalten. Nicht weiter schlimm, denn dadurch gilt Obergurgl-Hochgurgl unter Hochalpinisten noch immer als Geheimtipp. Nicht für Mountainbiker, welche die Trails liebend gerne für sich beanspruchen würden, sondern für das klassische Fußvolk: Wanderer, Trailrunner und Bergsteiger.
So profitierte auch ich von einer himmlischen Ruhe und durfte ein faszinierendes Landschaftsbild mit sattgrünen Wiesen, bunten Blumen, duftenden Zirbenwäldern, Wasserfällen und mächtigen Gletschern nahezu für mich alleine genießen. Obergurgl ist der ideale Alpenort für kurze Hütten-Almentouren, fordernde Alpintouren und anspruchsvolle Höhentouren.
Einige der Highlights, die ich beim Trailrunning und Wandern in Obergurgl begutachten durfte, stelle ich dir im Folgenden näher vor, mit der Bitte jeden einzelnen Ort bei deinem Aufenthalt im Ötztal auch tatsächlich zu besuchen. Es lohnt sich.
Das imposante Ramolhaus auf über 3.000 Metern
Hoch oben auf 3.006 Metern thront das Ramolhaus auf einem hervorstehenden Felsen. Bereits beim Gletscher Trailrun hatte die Hütte der DAV Sektion Hamburg etwas Majestätisches, als sie plötzlich aus dem Nebel hervorstach und ihre Präsenz offenbarte.
Mindestens genauso ehrfürchtig war der Anblick während meiner Wanderung bei bester Sicht ein paar Tage im Anschluss an den Lauf. Bereits aus großer Entfernung konnte ich das Ramolhaus über der Gletscherzunge des Gurgler Ferners erspähen. Dabei wurden mir die Ausmaße der Wanderung zur Schutzhütte für hochalpine Touren bewusst.
Von Obergurgl aus gelangst du in ungefähr drei bis vier Stunden an das “höchste Haus Hamburgs”, das zwischen 1881 und 1883 erbaut wurde. Der Weg geht einen schmalen Pfad entlang, beginnend inmitten saftig grüner Wiesen, die von beeindruckenden Wasserfällen getrennt werden.
Je höher du kommst, umso anspruchsvoller wird das Gelände. Mit der nötigen Ruhe und Trittsicherheit sollte auch das letzte, etwas steilere, Stück über Geröll kein Problem für dich darstellen.
Ob du auf der ersten Schutzhütte des Ötztals übernachtest (18 Euro für DAV-Mitglieder, 28 Euro für Nicht-Mitglieder) bleibt dir überlassen. Achte jedoch darauf, dass du dir frühzeitig eines der beliebten Betten reservierst.
Die Piccard-Brücke über der Schlucht des Gurgler Ferners
Vom Ramolhaus gelangst du über einen wunderschönen Abstieg auf kleinen Pfaden zur Piccard-Brücke. Auf dem Weg zur Hängebrücke darfst du dich an abwechslungsreichen Wegen über große Steine und Felsen sowie Schneefelder erfreuen. Um unbeschadet ins Tal des Gurgler Ferners zu kommen, sind an schwierigen Stellen Steighilfen und Seile montiert, die dich sicher an die Hängebrücke bringen.

Die Piccard-Brücke wurde im Herbst 2016 fertiggestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten Wanderer über eine kleine Brücke im Tal gehen, die regelmäßig Opfer vom Hochwasser wurde. Zudem sorgten Steinschläge dafür, dass der Übergang äußerst gefährlich war.
Ihren Namen hat die Piccard-Brücke, die sich auf 2.465 Metern Höhe befindet und das Ramolhaus mit der Langtalereckhütte verbindet, übrigens vom Schweizer Stratosphärenforscher Auguste Piccard. 1931 musste er am Gurgler Gletscher, ganz in der Nähe der 100 Meter hohen und 142 Meter langen Brücke, notlanden.
Nicht nur wegen dieses geschichtsträchtigen Ereignisses, sondern auch wegen der architektonisch sehenswerten Stahlkonstruktion ist die Piccard-Brücke heute eine bedeutende Sehenswürdigkeit. Nicht nur, weil der Übergang ein tolles Erlebnis ist, sondern auch der Anblick aus der Ferne kaum prächtiger sein könnte.
Die Hohe Mut Alm für den perfekten Ausblick
Ich muss zugeben, dass ich die Hohe Mut Alm beim Gletscher Trailrun Obergurgl-Hochgurgl fast verflucht hätte, da dies der letzte lange Anstieg vor dem Ziel war, der mich jeden einzelnen Muskel spüren ließ. Oben angekommen wirst du jedoch für all deine Mühen belohnt, schließlich blickst du – bei guter Sicht – in einem 360-Grad-Panorama auf 21 Dreitausender.
Falls du den Aufstieg, von der Langtalereckhütte kommend, vermeiden möchtest, kannst du von Obergurgl aus bequem mit der Hohe Mut Bahn nach oben fahren. Dass es auf der Alm sogar kostenloses Wlan gibt, ist ein klares Indiz dafür, wie leicht zugänglich und stark frequentiert die moderne Hütte ist.
Nichtsdestotrotz ist es empfehlenswert hier eine Pause zu machen und bei einer deftigen Brotzeit die Seele baumeln zu lassen. Oder du planst von hier deine nächste Tour. Die Hohe Mut Alm ist schließlich der ideale Ausgangspunkt für Eintages- und Mehrtagestouren im Ötztal, Tirols größtem Nationalpark.
Erlebnisweg durch den Obergurgler Zirbenwald
Die Wirkung der Zirbe auf den menschlichen Organismus, insbesondere ein erholsamer Schlaf, ist längst über den Alpenraum hinaus bekannt. Der Absatz von Zirbenkissen boomt und Hotels locken potenzielle Gäste längst mit Zimmern aus Zirbenholz. Wie gut, dass es die Zirbe an manch einem Ort noch in ihrer Ursprungsversion gibt – als Baum.

Im Obergurgler Zirbenwald kannst du den Duft der Zirbe und ihre Wirkung auf ungefähr 20 Hektar ganz ohne Aufpreis genießen. So führt dich ein gut zwei Kilometer langer Erlebnisweg in der Nähe der Zirbenalm – wie sollte diese auch sonst heißen – durch einen Wald mit mehr als 300 Jahre alten Zirben.
Betrachten kannst du den Wald, der seit 1963 als Naturdenkmal gilt, mit etwas Abstand auch vom nahegelegenen Klettersteig. Hier warten 100 Höhenmeter und eine Kletterlänge von 400 Metern auf dich. Da ich weder mit Gurt noch mit Helm ausgestattet war, nahm ich den Wanderweg, der ebenfalls zum Ausstieg des Klettersteiges führt.
Egal, wie du dich auch fortbewegst, es lohnt sich, dem Obergurgler Zirbenwald deine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Viel Zeit wirst du dort auf Grund der überschaubaren Größe nicht verbringen, aber einen Zwischenstopp ist die Ansammlung der Zirben allemal wert.
Obergurgl verdient das Prädikat “besonders wandernswert”
Ob Obergurgl noch immer ein Geheimtipp für Wanderer ist oder dieser Begriff lediglich herbeigezogen wurde, um die Werbetrommel zu rühren, darüber lässt sich streiten. Fakt ist, dass das Gletschergebiet ein wunderschönes Fleckchen auf diesem Planeten ist. In Bezug auf das Wandern und Trekkingtouren sticht Obergurgl seinen berühmten Nachbarn Sölden definitiv aus.
Neben den von mir genannten Highlights gibt es in Obergurgl-Hochgurgl noch einiges mehr zu entdecken. Zahlreiche Gipfel und Hüttenwanderungen warten auf dich. Für eine eintägige Rucksacktour empfehle ich dir gerne meine Wanderung und die Abschnitte der Route des Halbmarathons beim Gletscher Trailrun:
Obergurgl ➔ Obergurgler Zirbenwald ➔ Ramolhaus ➔ Piccard-Brücke ➔ Langtalereckhütte ➔ Hohe Mut Alm ➔ Obergurgl
Warst du bereits im Ötztal zum Wandern, Trekking oder Trailrunning? Dann verrate mir den Kommentaren, welche Tour dich ganz besonders beeindruckt hat.
Bildquelle Titelbild: Sportograf