Gastbeitrag von Dorothee Fleck
Anfang des Jahres stand mir Dorothee Fleck im Interview Rede und Antwort zu ihren beiden Weltumradelungen. Davor war sie einige Male mit dem Rucksack unterwegs, unter anderem vor ungefähr 30 Jahren in Kenia. Wie es damals war zu reisen und was sie im entfernten Afrika erlebt hat, schildert sie im folgenden Gastbeitrag. Bühne frei für Dorothee.
Es war irgendwann im August 1986. Ich landete in Nairobi, Kenia. Jung, blond und sehr blauäugig. Das einzige, was ich hatte, war die Adresse der Jugendherberge. Mit dem Bus fuhr ich in die Innenstadt. Es waren nur Schwarze auf der Straße, ein bisschen anders wurde es mir da schon. Und da sollte ich aussteigen?
Die ersten Impressionen von Kenia
Als es dann soweit war, war auf einmal ein großer Tumult im Bus. Ich sah einen Mann wegrennen, andere hinterher. Bevor ich überhaupt wusste, was los war, brachte mir der zweite Mann meinen Geldbeutel zurück. Ein netter Start in einem fremden Land. In dem Geldbeutel war übrigens nur wenig Wechselgeld.
Zur Jugendherberge ging es den Berg nach oben. Ich mit meinem riesigen Rucksack, neben mir eine Frau mit einer sehr großen Tasche auf dem Rücken, deren Riemen über die Stirn ging. So liefen wir nebeneinander her. Kommunikation war nicht möglich, aber ein Lächeln kann manchmal viel mehr ausdrücken als sämtliche Worte.
Ich blieb ein paar Tage in der Herberge, traf andere Reisende, die mir sagten, was man in so einem großen Land tun kann. Natürlich hatte ich ein bisschen Ahnung, sonst wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, nach Afrika zu fliegen. Aber so etwas wie Lonely Planet oder die unzähligen Reiseblogs mit “10 Tipps, die man unbedingt machen muss”, etc, gab es natürlich nicht. Das Internet wurde noch kaum für zivile Zwecke genutzt. Den ersten Web Server gab es erst 1989 am CERN.
Backpacking in Afrika fernab des Internets
Meinen Eltern schrieb ich eine Postkarte, dass ich gut angekommen war. Als ich sie einwarf, fragte ich mich, wie sinnig ist das. Wahrscheinlich bin ich zurück, bevor die Karte ankommt. Ich war schließlich nur vier Wochen dort. Telefonieren wäre viel zu teuer und kompliziert gewesen. Und wie gesagt, E-Mails gab es nicht und ich konnte nicht mit Freunden chatten. Ich war ganz auf mich gestellt.
Und genau das war fantastisch, denn ich konnte mich voll auf das Land einlassen, musste nicht immer wieder ein Internet-Café suchen, meinen Freunden berichten, keine to-do-, must-do- oder sonstige -Listen abarbeiten, sondern konnte mich einfach treiben lassen. Zuerst ging es mit einer US-Amerikanerin an den Victoria See und Kakamega Forest. Es war gigantisch.
Noch heute sehe ich den Markt von Kisumu vor mir und rieche die verschiedenen Gewürze. Mit Matatus (Sammeltaxis) ging es weiter. Schon lange waren wir die einzigen Weißen. Ich bemerkte natürlich, dass wir das Doppelte des Preises zahlen mussten. Für mich war es in Ordnung, da es sich sowieso nur um 50 Pfennig – ja, es gab damals auch noch keinen Euro 🙂 – handelte.
Mitten im Wald bei einer Forschungsstation haben wir gezeltet. Morgens weckten uns große Vögel, die über das Zelt hinweg düsten. Beim Spaziergang durch die Wälder war es zuerst sehr ruhig, dann war auf einmal ein großes Gebrüll und Affen schossen die Bäume herab. Ein Naturspektakel ohnegleichen, damals noch überhaupt nicht touristisch erschlossen.
Flusspferde und mein privater Tourguide
Weiter ging es alleine zum Lake Nakuru, um Flamingos zu beobachten. Es gab eine Jugendherberge, die aus kleinen Rundhäusern bestand – mit zwei Betten, die im Kreis standen. Mein Zelt konnte ich in der Mitte aufstellen. Nachts wurde ich von einem furchtbaren Getrampel geweckt, aber ich war viel zu müde, um auch nur aus dem Zelt zu schauen. Am Morgen fragte ich den Nachtwächter, was denn los war. Er meinte, einen ganze Horde Flusspferde wären aus dem See gekommen und um mein Zelt gerannt. Da hatte ich ja nochmals Glück, dass ich nicht niedergetrampelt wurde. Mein Zelt war damals vielleicht 80 cm hoch.
Nach dieser Nacht bin weiter auf einen Camping-Platz direkt am See gegangen. Ich überlegte mir, wie ich am besten ins Masai Mara Gebiet gehe. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder ein Auto mieten oder bei einer Touri-Tour mitzufahren. Auf beides hatte ich keine Lust. Ein Auto mieten war wenig sinnvoll. Man kannte sich ja nicht aus. Und dicht gedrängt in einem Bus oder Jeep mit anderen Touristen ging auch nicht.
Ganz unverhofft kam dann die dritte Option. Ein Mann, britischer Abstammung, sprach mich an. Er war Tourguide für europäische Touristen, hatte aber gerade Urlaub. Nach einem netten Gespräch meinte er, er hält es sowieso nicht in der Stadt aus, weshalb er meine Privat-Tour ins Masai Mara-Gebiet machen könne.
Gesagt, getan! Zuerst ging es zurück nach Nairobi, um Lebensmittel einzukaufen und den Jeep zu packen und abends los über die Ngong Hills. Es ist schon fast 30 Jahre her und ist immer noch so lebhaft vor mir. Der Anblick der Giraffen im Sonnenuntergang war einfach grandios, ich werde ihn im Leben nie vergessen. Seitdem mag ich auch keine Zoos mehr.
Als wir uns dem Rift Valley näherten, musste ich über mich selbst lachen. Eigentlich war ich ganz schön leichtsinnig. Der Typ konnte ja jetzt alles mit mir machen und mich danach den Löwen zum Fressen vorwerfen. Keiner würde mich jemals wiederfinden. Aber: No risk – no fun. Wie gesagt, jung, blond und blauäugig. Oder hatte ich damals schon eine sehr gute Menschenkenntnis?
Was folgte waren wunderbare und abenteuerliche Tage in der Wildnis. An Tieren habe ich so ziemlich alles gesehen, was es dort zu sehen gab und habe sehr viel gelernt. Peter kannte sich sehr gut aus und wusste unglaublich viel über die Tiere. Nachts schlugen wir irgendwo unser Zelt auf und er kochte für mich das beste Essen über dem Lagerfeuer. „Vor den Tieren brauche ich keine Angst zu haben “, meinte er. Eigentlich konnten uns nur die Massais gefährlich werden.
Nachts war es ganz schön laut, Löwen und Hyänen brüllten sich gegenseitig an. Man hörte es so deutlich, als ob sie direkt vor dem Zelt stehen würden. Eines Abends sahen wir Scheinwerfer. Das war natürlich sehr ungewöhnlich und Peter wollte nachsehen, was da los war. Er ließ mich einfach in der Wildnis stehen und lief in der Dunkelheit davon. Da hatte ich ganz schön Angst. Was mach ich jetzt, wenn mich ein Löwe anfällt oder wenn Peter nicht mehr zurück kommt? Da Tiere ja anscheinend Angst vor Feuer haben, bewegte ich mich nicht von ihm weg. Obwohl es ganz schön heiß wurde, zitterte ich. Aufatmen konnte ich erst wieder, als ich sah, dass sich der Schein von Peters Taschenlampe näherte.
Dünne Luft auf dem Mount-Kenya-Massiv
Nach ein paar erlebnisreichen Tagen fuhren wir nach Nairobi zurück und ich weiter mit dem Bus zum Mt Kenya. Ich ließ mir von dem Busfahrer sagen, wo ich auszusteigen hatte. Dann musste ich noch ein paar Kilometer auf einem staubigen Feldweg gehen. Es war ganz schön heiß. Eine ältere, weiße Frau kam mit dem Auto vorbei und nahm mich mit. Sie war sehr erstaunt mich hier zu sehen und machte sich ernsthaft Sorgen um mich. Ob ich dort jemanden treffen werde. Ja, ja, versicherte ich ihr. Eine Notlüge, um sie zu beruhigen.
Damals waren Verabredungen nicht so einfach. Keine Handys, keine E-Mails, kein Facebook. Und trotzdem, oh Wunder, kamen zwei bekannte Jungs zum Vorschein. Beides waren Polen, die ich bereits von Nairobi kannte. Welch Freude – und ich hatte nun auch nicht mehr direkt gelogen.
Mt. Kenya ist mit über 5.100m der zweithöchste Berg Afrikas. Den galt es nun zu besteigen. Eigentlich wollte ich mir Zeit lassen, mich an die Höhe gewöhnen, aber die Jungs meinten, sie hätten für den nächsten Tag eine Mitfahrgelegenheit zur Wetterstation, die schon auf circa 3.000 m ist. Also schloss ich mich ihnen an. An der Wetterstation wurde gezeltet. Es war so kalt, dass morgens sogar eine Eisschicht auf dem Zelt war.
Um 4 Uhr, bei Dunkelheit, zogen wir los, um den Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu sehen. Es war steil, sehr steil, und jede Menge Geröll. Nach den ruhigen und faulen Tagen im Masai Mara-Gebiet eine echte Herausforderung. Und immer dachte ich an die Höhenkrankheit, die mich doch sicherlich bald überkommen musste, da ich ja gleich so hoch hinaus wollte.
Dann war es auch auf einmal so weit. Ich hatte Kopfweh, mir wurde schwindelig und mir war übel. Unser Bergführer setzte mich an einer Berghütte ab. Kurz darauf fand ich mich auf einem Hochbett zwischen schwarzen Bergführern wieder. Sie ließen mich absolut in Ruhe, unterhielten sich über mich hinweg. Sehr spaßige Situation. Auf dem Rückweg sammelte mich meine Gruppe wieder auf. Den Sonnenaufgang habe ich leider nur halb gesehen. Jetzt war es hell und ich sah den Weg, auf dem wir ein paar Stunden zuvor hochgegangen waren. Wahrscheinlich, wenn ich ihn beim Aufstieg schon gesehen hätte, wäre ich gar nicht so weit gekommen.
Dann der Abstieg durch die vielen Vegetationszonen, die sich hier, fast auf dem Äquator wegen den extremen Höhenunterschieden aneinanderreihen. Direkt am Fuße des Mt Kenyas war eine der schönsten Jugendherbergen. Viele Weiße haben das Land nach der Unabhängigkeit 1963 verlassen. Einer davon hat seine Farm an dem Hosteling International vermacht, fantastisch, Soweit ich gesehen habe, gibt es das so jetzt nicht mehr, leider.
Abschlusstour nach Nairobi, Mombasa und Malindi
Ich bin zurück nach Nairobi und habe einen Zug nach Mombasa gebucht. Am Schluss der Reise war noch ein bisschen Meer angesagt. Die Zugfahrt war schon ein Ereignis für sich. Da die Züge so langsam sind, fahren sie am Abend in Nairobi los und kommen morgens in Mombasa an. Am Schlafwagen für Frauen stand mein Name angeschrieben. Ich teilte mir das Abteil mit einer Mutter und ihrem kleinen Sohn, es war sehr unterhaltsam. Am Morgen wurden wir vom Steward mit einem Glockenspiel geweckt. Dann wurde in unserem Abteil das Frühstück serviert, mit Silberbesteck, einem Relikt aus der britischen Kolonialzeit, während draußen im Tsavo Nationalpark die Tiere, unter anderem die eleganten Giraffen, umherliefen.
In Mombasa blieb ich nicht lange. Ich bin gleich weiter nach Malindi. Eigentlich wollte ich dem Sextourismus entfliehen, aber dem war nicht so. In Malindi sprachen alle Frauen deutsch, was erschreckend ist. Man braucht sich nicht fragen, warum.
Zwei Nächte zelten am Silversand Beach haben gereicht. Dann zog ich weiter auf die Insel Lamu, die damals noch viel unberührter war als es heute der Fall ist. Auch heute sind nur zwei Autos zugelassen, nämlich die der Polizei und des Krankenwagens. Es ist eine islamische Insel, deswegen gab es auch keinen Alkohol. Entweder ist man gelaufen oder hat sich mit einem Dhau an einen abgelegeneren Strand bringen lassen. Das war fantastisch. Auch habe ich hier ein paar nette Backpacker getroffen.
Dann nahte schon das Ende der Reise. Wieder zurück nach Nairobi und dann per Flugzeug nach Frankfurt. In Deutschland angekommen konnte ich endlich meine Eltern anrufen, die ja schon einige Zeit nichts mehr von mir gehört hatten.
Es war ein erhebendes Gefühl, als ich so bepackt, nicht mehr so naiv und blauäugig, mit der Straßenbahn zu meinem Zimmer in Freiburg gefahren bin. Wieder einmal etwas geschafft und eine wunderbare Zeit verlebt. Schon damals war mir bewusst, jetzt würde mir die ganze Welt offen stehen. Damals hatte ich aber noch keine Ahnung, wohin das führen würde.
Digitale Kameras gab es damals natürlich auch noch nicht. Ich habe ein paar Fotos, die befinden sich aber nicht in einer Cloud oder einem Stick, sondern in einer Schachtel in meinem Schopf. Ich habe die Orte, die ich hier erwähne, im Internet recherchiert. Unglaublich, wie sich das alles verändert hat.
Nächstes Jahr werde ich mich mit dem Fahrrad auf dem afrikanischen Kontinent austoben. Ich weiß nicht, ob ich diese Orte wieder aufsuchen soll. Zum Glück komme ich mit dem Fahrrad immer wieder durch fantastische Gegenden, die in keinem Lonely Planet erwähnt werden und wo es keine Internet-Cafés gibt.
Autoreninfo:
Dorothee Fleck hatte schon immer ein Faible für fremde Länder und Kulturen. Nachdem sie lange in einem festen Angestelltenverhältnis arbeitete, war der Drang nach Freiheit so groß, dass sie kündigte und zweimal mit dem Fahrrad um die Welt fuhr. In ihrem Blog womenscyclingguide.com gibt sie nicht nur wertvolle Tipps für alle Nachahmer, sondern blickt auf ihre Radreisen zurück.
Anmerkung zum Foto: Das Foto stammt nicht aus Kenia, sondern wurde 2010 von mir im Krüger Nationalpark in Südafrika geschossen.
Hallo Ildi,
vielen Dank für Deinen netten Kommentar.
Ja, es war damals schon ein Abenteuer, vor allem war das meine erste Reise nach Afrika, alleine mit dem Rucksack.
Manche Sachen haben sich kaum verändert, wie der nette Campingplatz am Lake Naivasha.
Insgesamt ist es touristischer und, wie überall, teurer geworden. Die Städte Kisumu und Nairobi habe ich kaum wiedererkannt.
Auf jeden Fall ist Kenya immer noch eine Reise wert.
Liebe Grüße und weiterhin schöne, erlebnisreiche Reisen,
Dorothee
Hallo Dorothee,
es musste ein echtes Erlebnis sein damals quer durch Kenia zu fahren. Ich habe das Buch Die weiße Massai gelesen. Die Autorin war auch im Jahr 1086 in Kenia. Wie du und sie das Land beschreibt, hat sich Kenia in den vergangenen 30 Jahren kaum verändert. Wir waren in 2010 und jetzt in 2018 in dem Land, und wir haben außer den (Grenz-)Konrollbreichen keine Veränderung gesehen. In Kenia scheint die Zeit zu stehen. Na ja, die moderne Technik sieht man schon, wie in ein paar Händen Handys, sonst ist Vieles so geblieben, wie es war.
In diesem Jahr haben wir Massai Mara und Nairobi Tour auf dem Program. Darüber haben wir einen Beitrag ( https://www.travelsicht.de/city-tour-slum-tour-nairobi/ ) geschrieben. Durch Mathare Armenviertel zu schlendern war ein unbeschreibliches und schockierendes Erlebnis.
Viele Grüße,
Ildi